Gedanken zum Thema Tod

Ausstellungseröffnung "ZOMBIES"

Galerie Patricia Ferdinand-Ude - 5. November 2004 - 20 Uhr


 

Danke, dass Sie mir noch ein paar Minuten Ihrer Aufmerksamkeit schenken. Patricia hatte mich ja gebeten, sozusagen als jemand vom Fach zur reden. Vom Fach konnte ja nur heißen: über den Tod zu reden. Aber ich möchte hier doch darauf bestehen, dass ich als Theologe generell nicht vom Tod sondern vom Leben zu reden habe.

Reden wir vom Tod, so reden wir also vom Leben. Wie sollten wir auch über den Tod reden können, wenn uns doch alle Erfahrung fehlt, was er eigentlich ist.

Aller mystischer Firlefanz, auch der etablierter Religionen, alle Berichte über Nahtoderfahrungen und Poltergeister, über Wiedergeburt und tranzendentiale Meditation können nicht darüber hinweg täuschen: ist die Schwelle einmal überschritten, ist geschehen was wir das Sterben nennen, treten wir einer unbekannten Dimension gegenüber, die im Dunkel der verinnerlichten Entwicklungsgeschichte des Menschen eine Vielzahl von Wahrnehmungen, Deutungen, Ritualen und Darstellungsmöglichkeiten produziert. Bis auf den heutigen Tag, was auch diese Ausstellung zeigt.

Und darum ist die Auseinandersetzung mit dem Tod so faszinierend, nicht allein, weil es sich um eines der ungeklärten letzten Dinge unserer Existenz handelt, sondern auch weil er so viele Möglichkeiten zu Spekulation und Mutmaßung bietet, die ihrerseits immer wieder neu erzählt und dargestellt werden müssen, um jeder Generation immer wieder neu und auf ihre Weise den Umgang mit dem Tod zu ermöglichen.

Was ist also der Tod, wenn wir über ihn nur vom Leben her reden? In Zahlen:

Jahr für Jahr sterben in Deutschland etwa 900.000 Menschen. Unter ihnen rund 9.000 Verkehrstote, 12.000 Selbstmorde, 2.500 Totgeburten usw. Über die Hälfte aller Todesfälle ereignen sich in Kliniken und Altenheimen. In manchen Großstädten beträgt dieser Prozentsatz  90% und mehr. Und 50 zu 50 ist unserer Chance, das es jeden von uns hier und heute schon morgen selbst treffen kann.

Das sind die Zahlen. Doch hinter den Zahlen verbergen sich konkrete Schicksale von Menschen; Betroffenen wie Hinterbliebenen: Da war viel Leid, viel Verzweiflung, und viel Trauer mit im Spiel. Wer von Ihnen schon einen Menschen hat beerdigen müssen, gar bei seinem Tod dabei war weiß, wovon ich rede. Denken wir dann noch an die globale Situation tausender Tote, weil das nötigste zum Überleben fehlt, mag jeder ermessen, um was es geht. Der Tod ist der finale coup d'etat gegen alles, was dem modernen Individuum heilig ist.

Wie also leben in diesem Dunkel der Vielzahl von Wahrnehmungen, Deutungen und Ritualen, in denen sich die unmittelbare Erfahrbarkeit des Todes im Tod des anderen noch mit der Unerfahrbarkeit des eigenen Todes multipliziert?

Epikur, griechischer Philosoph des 4./3. Jahrhunderts vor Christus empfahl noch die einfache Negation: "Der Tod geht uns nichts an; denn solange wir sind, ist der Tod nicht da und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr."

Michel de Montaigne, franz. Philosoph des 16. Jahrhunderts hingegen proklamierte die tagtägliche Vergegenwärtigung unserer Sterblichkeit: "Nehmen wir ihm seine Unheimlichkeit, machen wir ihn uns vertraut, halten wir Umgang, bedenken wir nichts so häufig wie den Tod."

Es wird auch in unserem Kreis immer den einen oder die andere geben, die einer dieses polaren Haltungen teilt, die Mehrheit allerdings bewegt sich in einer permanenten Gemengelage von Negation und Antizipation im Umgang mit der eigenen Sterblichkeit.

Der Tod bleibt der finale Feind meiner individuellen Existenz. Dem kann letztlich nur widersprechen, wer seine individuelle Existenz selbst schon zu Lebzeiten zu negieren vermag, dem das "Mysterium der Ewigkeit des Leben" genügt und sich nicht aus "lächerlichem Egoismus" heraus Gedanken über seine Unsterblichkeit macht. So zumindest hat es Albert Einstein formuliert.

Das die Negation der Bedeutung der eigenen Existenz allerdings auch weniger in einer fast schon akzeptabel und poetisch erscheinenden naturwissenschaftlichen Sicht menschlichen Seins mündet, dokumentiert Friedrich Nietzsches Traktat "Vom vernünftigen Tode". In dem empfiehlt er, die menschliche "Maschine" bei Zeiten abzuschalten, wenn sie nicht mehr funktioniert und nur unnötige "Unterhaltskosten" vergeudet. (Dabei liebe ich Nietzsche so)

Die Extreme bestimmen die Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit und dem Tod. Was bei dem einen noch in postmoderner Verknüpfung von Wissenschaft und Esoterik zu einem gewissen Grad an Seelenfrieden führt, dient dem anderen schon zur Vorbereitung des Holocaust.

Der Normal-Mensch allerdings bewegt sich zwischen den Extremen; sucht seinen Weg zwischen spontanem Erschrecken und leichter Bedenkenlosigkeit durchs Leben. Doch die Balance ist schnell verloren. Es schmerzt der Tod als Stachel im Fleisch einer Kreatur, die von sich selbst glaubt, eigentlich mehr zu sein als ein Mensch.

Und so sucht diese Kreatur, so sucht der Mensch seit Gedenken nach Wegen der Überwindung des Todes. Da aber diese Grenzen - noch - unverrückbar ist, kann dem Leben nur im Leben ein Stück Unsterblichkeit abgerungen werden.

So drängt es uns in den modernen Zivilisations-gesellschaften zum einen nach immer mehr Sicherheit und zum anderen nach immer mehr Erlebnisvielfalt.

Sicherheit, um dem Einzelnen wenigstens seine durchschnittliche Lebenserwartung zu garantieren, wenn möglichst zu verlängern und Erlebnisvielfalt, um zumindest in der Illusion die unendlichen Möglichkeiten des Lebens ganz und gar ausgeschöpft zu haben.

Dieser Illusion allerdings folgt in aller Regel die Enttäuschung und neben den Tod tritt ein beinah noch größerer Feind des Lebens: die Angst, etwas zu versäumen.

Und daher müssen sie aus ihren Gräbern kriechen, all die Dämonen und Geister, die Untoten und Zombies, die Alpe der Nacht und des Tages, die Anti-Kreaturen aus dem Urgrund unserer archaischen Psyche - und das trotz aller Moderne und aller Aufklärung.

In ihnen begegnet uns die Seite unserer Existenz, die wir nicht zu erfassen vermögen. Wir bannen unsere tägliche Angst - nicht vor dem Tod - sonder vor dem Leben im Horizont seiner Endlichkeit. In dem wir uns mit dem Grusel und dem Grauen, dem Makaberen und dem Morbiden konfrontieren, reinigen wir unsere Seele von dieser Angst. In dreißigtausend Jahren menschlicher Geschichte haben wir es nicht lernen können, anders damit umzugehen.

Somit sind die Untoten, die Zombies die uns in Alpträumen, Inszenierungen oder Ritualen begegnen eigentlich die guten Geister; ganz wie das zairische Ursprungswort Zumbi den Totengeist meint, den behütenden Ahnengeist, der über die Lebenden wacht.

In der Vergegenwärtigung des Schreckens ereignet sich Befreiung und die beruhigende Selbstversicherung: Mein Gott, ich lebe ja noch.

Während uns in dem ästhetischen Schauer eines Atompilzes oder den einstürzenden New Yorker Twin-Towers noch ein Unbehagen über unsere Faszination am Schrecken befällt, können wir uns in den virtuellen Räumen unserer Fantasie wie sie auch Kunst, Literatur, Film und andere Genres produzieren unbefangen bewegen.

Hier visualisiert sich unsere Sehnsucht nach der Berührung mit dem Tod; ob nun dargestellt als Schreckensfigur in Horrorfilmen, Comics oder Computerspielen, in der gehobenen Lektüre von Mary Shelley's Frankenstein oder im trivialen eines Stephen King, und vor allem immer wieder in der Kunst, von Hieronymus Bosch über William Blake und Picasso bis zur Kunst der Gegenwart

Das wir dabei in der Lage sind, bis an die Grenzen des Erträglichen zu gehen, ja verdammt sind, es zu müssen, dokumentiert der bis heute in seiner Vollfassung verbotene Horrorklassiker  "Zombie - Dawn of the Dead" des amerikanischen Horror-Altmeisters George Andrew Romero. Er war es 1978, der erstmals die bedauernswerten als Arbeitssklaven missbrauchten Ur-Zombies, wie sie 1932 in dem ersten Zombiefilm überhaupt von Victor Halperin im Kino vorgestellt wurden - zu menschenfleischfressenden Monstern werden ließ und ein wahres und vergnügliches Schlachtfest auf die Leinwand projizierte.

An dessen Ende allerdings ist nicht mehr klar, wer Opfer und wer Täter ist: die Menschenfresser oder der im Blutrausch seiner Verteidigung metzelnde amerikanische Mittelstandsbürger.

Und die Moral von der Geschicht: wer die Angst vor dem Tod verliert, verliert die Angst vor dem Leben. Das dieses Fazit auch ins Böse gewendet werden kann, liegt an der spirituellen Kraft, dies sich hinter unserer Erfahrung der Endlichkeit aller Dinge verbirgt.

 

Ich bedanke mich für diese wirklich ausgezeichnete Ausstellung hier in Gelsenkirchen, bei der Galeristen Patricia Ferdinand-Ude und bei den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern.

Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme und freue mich über jede Beileidsbekundung.

Allen noch einen schönen und schaurigen Abend.