Wer Recht hat, liebe Freundinnen und Freunde, der fühlt sich meistens gut. Wer Recht hat, der kann es sich leisten, auch mal auf die eigenen Schultern zu klopfen. Doch wie bitter kann es sein, Recht behalten zu haben.
Noch immer ist der Krieg im Irak nicht beendet. Tagtäglich sind blutige Opfer zu beklagen. Von den US-Soldaten wissen wir die Zahlen, die Höhe an irakisches Zivilisten hingegen wird wohlweislich verschwiegen. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter. Der Kampf der Kulturen hat begonnen.
Wir haben es gewusst, oder doch zumindest mit dem Gefühl geahnt, es möge nicht so kommen. Wir haben Recht behalten. Bitter Recht.
Ich stehe und rede hier als Christ, der im Glauben an den einen Gott des Lebens und des Friedens schier verzweifelt an der menschenverachtenden Politik einer Riege von Machthabern, die den Tod von Tausenden in Kauf nehmen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Und dabei schaue ich nicht nur auf die aktuelle Situation im Irak. Unser Protest gegen den Krieg muss auch die anderen Schauplätze seines Terrors in den Blick bekommen: Das fortdauernde Morden in Tschetschenien und dem Sudan. Die Gewalt in Kolumbien und Kaschmir. Die Verschärfung des Konfliktes zwischen Israel und Palestina. - Im Schatten des Irak-Krieges nahm die Gewalt in diesen Kriegsgebieten zu.
Ich verzweifele an einer Ordnung, die weltweit Milliarden für die Kriegsmaschinerie auszugeben bereit ist, während genauso weltweit Millionen von Menschen an der zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit unserer Wirtschaftsordnung leiden. Rüstung auch tötet schon, bevor die Waffen zum Einsatz kommen.
Und die Brosamen, die unter den Tisch der Magnaten und Militärs fallen, zum Deckmäntelchen einer Humanitären Hilfe werden, die gegebenenfalls selbst zur Begründung neuer militärischer Aggression dienen kann.
Und ich verzweifele an der Arroganz der Mächtigen und politisch Verantwortlichen, wie sie bisher alle Proteste gegen das Kriegstreiben, gegen die ungerechte Verteilung der Güter und gegen den Abbau demokratischen Grundwerte kalt lächelnd ignorieren, während sie sich "goldene Handschläge" geben in Washington, Brüssel und deutschen Gerichtssälen.
Als wir vor einen Jahr hier standen und der Ostermarsch ein massiver Protest gegen den nur wenige Tage alten Irak-Krieg war, sahen wir uns in einer anheimelnd, befremdlichen Koaliation mit unserer Regierung und denen anderer Staaten.
Eine Zeit lang schien sichergestellt, in einem Land zu wohnen, indem noch ein bisschen Vernunft das Verhalten unser Volksvertreter bestimmt. Doch unsere starken Partner gegen den Irak-Krieg, haben sich schamlos demaskiert. Als ob wir es nicht schon vorher gewusst hätten.
In der Frage ja oder nein zum Krieg geht es ihnen keinesfalls ums Grundsätzliche. Die westlichen Staaten sind sich in der Kernfrage einig: nur die Stärkung der militärischen Macht sichert auf Zukunft die hegemonialen Ansprüche des Westens.
So kann es eigentlich niemanden verwundern, wenn auch das zusammenwachsende Europa meint, sich dieser Aufgabe stellen zu müssen.
Mit Erschrecken haben wir als Bürgerinnen und Bürger dieses Europas, das vor gut einem halben Jahrhundert noch selbst durch die Hölle des Krieges ging, zusehen müssen, wie eine Verfassung als Grundlage für die europäische Völkergemeinschaft auf den Weg gebracht wurde, die im Rahmen der sog. "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der "gemeinsamen Verteidigungspolitik" einen zentrale Rolle im Verfassungsentwurf einräumt.
Im friedens- bzw. militärpolitischen Bereich finden sich dramatische Neuerungen. So gibt es eine explizite Aufrüstungsverpflichtung mit Verfassungsrang und ein "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten", das diese Aufrüstung kontrollieren soll.
So wird die Zurüstung für militärische Missionen und Interventionen festgelegt, die auch ausdrücklich Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließen und die Schaffung einer EU-Interventionstruppe vorsieht.
Und als ob wir auch das nicht schon gewusst hätten: zur Begründung dient, was nach dem 11. September 2001 weltweit zur Rechtfertigung militärischer Gewalt dient: die Bekämpfung des Terrorismus. Und das im eigenen Land, wie auf dem Hoheitsgebiet von Drittstaaten gleichermaßen.
Das man sich mit keinem Wort auf die mühsam erreichten Standards der Völkergemeinschaft zur Krisen- und Konfliktbewältigung beruft und stützt, ist der Skandal schlechthin. Damit wird die Bereitschaft dokumentiert, auch an UNO und Weltsicherheitsrat vorbei sich alle militärischen Optionen offen zu halten.
Noch gilt unser Grundgesetz, das das Verbot des Angriffskrieges enthält und den Einsatz von Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsfalls unter vergleichsweise enge Grenzen stellt. Mit dem in Kraft treten der EU-Verfassung wird es seine Geltung verlieren.
Ebenso skandalös wie die offene Ignoranz gegenüber der UNO ist die Tatsache, dass die einzige demokratische Basis, auf der Europa steht, das Europäische Parlament, in Fragen der gemeinsamen Sicherheit keine Stimme haben wird. Ausdrücklich wird formuliert, dass das Europäische Parlament in die Entscheidungen des Ministerrates nicht hineinregieren darf. Es soll lediglich "auf dem Laufenden gehalten" werden.
Von diesen nicht abreißen wollenden Angriffen auf unsere bürgerlichen Freiheits- und demokratischen Grundrechte, über die zunehmende Entprivatisierung des Einzelnen, bis hin zur dem lauten Ruf, den Einsatzkräften der Bundeswehr mehr Kompetenz und mehr Aufgaben im Inneren zukommen zu lassen, dass sollte uns nicht nur aufhorchen lassen, sondern zu deutlichem Protest nötigen. Unter einer solchen Politik ist es nicht ausgeschlossen, dass der Krieg eines Tages vor unserer eigen Tür steht. Im Inneren wie im Äußeren.
Das Ziel dieser Politik wird im Militärstrategiepapier der EU offen formuliert. Man kann kaum glauben, dass er da so steht: "Gemeinsam handelnd können die Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine eindrucksvolle Kraft sein die sich für das Gute in der Welt einsetzt."
Sich für das Gute in der Welt einsetzen! Als Vertreter einer Institution, die schwer an der Schuld ihrer eigenen Geschichte zu tragen hat, weiß ich, was es bisher bedeutet hat, sich auf der Basis militärischer Stärker und hegemonialer Machtansprüche für das "Gute" in der Welt einzusetzen.
Das an welch auch immer Wesen, diese Welt zu genesen habe, ist der ideologische Anspruch einer jeden imperialen Macht, der es letztlich nicht auf das Wohl Menschen, sondern auf die Sicherung ihrer eigenen ökonomischen Interessen ankommt.
Macht das gemeinsame Europa sich diesen Grundsatz zu eigen, reiht es sich unwiderruflich ein in die Riege der historischen Zeitläufte, die nicht das Wohl sondern das Verderben zur Folge hatten und haben werden.
Diese Europa knüpft an an Zeiten, die wir - wünschend zumindest - schon lange überwunden glaubten. Zeiten, die der Ort dokumentiert, an dem wir heute hier an einer der Stationen des diesjährigen Ostermarsches versammelt sind.
Das Gelsenkirchener Mahnmahl für die Opfer des deutschen Faschismus, an dem wir vorhin den Kranz niedergelegt haben, soll uns das sein und bleiben, für was es steht: als eindringliche Mahnung an uns und die kommenden Generationen, dass einseitig auf ihre Macht und ihre politischen, ideologischen wie wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet Regime, seien es Diktaturen, oder seien es Demokratien immer den Weg in neue Kriege bahnen werden.
Bei der Mahnung aber werden wir nicht stehen bleiben. Wir haben gezeigt, dass wir alle sensibel und wach genug sind, zu erkennen, wie wichtig der gemeinsame Protest ist und bleibt. Und wie wichtig es ist, gerade jetzt nicht darin nachzulassen. Unsere Aufgabe hier und anderswo ist noch nicht beendet.
Ja, es gibt Krieg, und auch unsere Generation wird es nicht schaffen, ihn vom Antlitz unseres Planeten zu verbannen. - Aber wir stehen ein, für eine Politik, die nicht nach Legitimationen für einen gerechten Krieg, sondern nach gerechtem Frieden strebt.
Ja, es sterben täglich Tausende an den Folgen der ungerechten Verteilung der Güter, und auf nicht absehbare Zeit müssen wir weiter diese Opfer beklagen. - Wir aber wollen uns weiterhin als verlässliche und solidarische Partnerinnen und Partner im Kampf um eine weltweit gerechte Verteilung der Güter erweisen.
Ja, die Arroganz der Mächtigen, stellt sich über alle Demokratie und Freiheit. Beugt geltendes Recht und interpretiert humane Grundwerte wie Menschenrechte nach ihrem eigen unverschämten Gutdünken. - Wir aber werden uns weiter einsetzen für eine Weltordnung, die die Achtung vor dem Leben, der Freiheit und der Bedürfnisse des anderen, respektiert und garantiert.
Soviel oder sowenige wir auch sind oder sein mögen, in den bevorstehenden Auseinandersetzungen, und bei allem bitterem Recht behalten, aller Verzweiflung und allem realistischen Blick auf die Zukunft, so hoffe und glaube ich doch, dass nichts, was auf dieser Welt im Namen des Friedens und des Lebens geschieht vergeblich ist. Und ich sage es mit den Worten meines geschätzten Kollegen, der im letzten Jahr hier die Rede hielt: "Ich hoffe und glaube, dass es eine Macht gibt, die alles im Gedächtnis behält, den Protest, das Aufstehen für das Leben und die Leiden der Opfer, auch wenn die, die sich für mächtig halten, sich von Millionen Kriegsgegnern nicht beeindrucken lassen." Diese Hoffnung soll uns tragen, denn unsere Aufgabe hier und anderswo ist noch nicht beendet.
Der Gott des Lebens segne an diesem Ostertag die Menschen seines Wohlgefallens.
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