MUSIK UND MEDITATION ZU ERNTEDANK
Gottesdienstentwurf
Seit sechs Jahre bietet die Bleckkirche am Erntedanktag
einen Abendgottesdienst mit meditativen Charakter an. Musik und Textlesungen stehen
in seinem Mittelpunkt. Die musikalische Gestaltung übernimmt jeweils ein
Ensemble oder Musikkreis aus einer hiesigen Gemeinde des Kirchenkreises. Auf
Qualität der Darbietungen sollte geachtet werden, ebenso auf eine
monitäre Anerkennung, die zumindest die Unkosten der Beteiligten deckt,
oder aber die musikalische Arbeit der Gruppe fördert. Auf die sonst klassische Predigt als Form der
Verkündigung wird bewußt verzichtet. Biblische Texte in moderner
Sprache in Verbindung gebracht mit zeitgemäß literarischen Texten
bekannter Autoren treten an ihre Stelle.
Der Ablauf dient folgendes Standardgerüst:
o
Musik
o
Begrüßung und Themaansage
o
Psalmgebet im Wechsel
o
(Musik)
o
Lied
o
Musik
o
Lesung
1: Bibeltext & Literaturtext
o
Musik:
o
Lesung
2: Bibeltext & Literaturtext
o
Musik
o
(Lied)
o
Gebet
& Vater Unser
o
Lied
o
Sendung
und Segen
o
Musik
Im Folgenden sind ein
Beispiel sowie weitere Lesungstexte dokumentiert:
Ökumenischer
Abendgottesdienst
Musik und Meditation zu
Erntedank
Thema: Schöpfung,
Friede, Erlösung
30. September 2001 - 17 Uhr
- Bleckkirche
Musik:
Begrüßung und Themaansage
Und Gott sprach in seinem Herzen: Ich will
hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten
und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich
will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
Solange die Erde steht, soll nicht aufhören
Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. 1. Mose
8,21f
...
Psalmgebet im Wechsel
Gott, ohne Zahl sind deine Werke,
Erde und Himmel sind voll von deinen Geschöpfen.
Menschen
und Tiere, alle warten auf dich,
dass
du ihnen Nahrung schenkst zur rechten Zeit.
Du gibst ihnen, und sie können nehmen;
öffnest du deine Hand, werden sie mit Gutem
gesättigt.
Du
entziehst dich, und sie sind verloren;
sobald
du ihren Atem wegnimmst, sterben sie
und
werden zu Staub.
Du sendest deinen Lebenshauch aus, und sie werden
geschaffen; du erfüllst alles Leben mit deinem Geist
und erneuerst die Gestalt der Erde.
Die
Erde Gottes ist ewig;
sie freue sich seiner Werke.
Ich will Gott singen, solange ich lebe,
und meinem Gott spielen, solange ich bin.
Alles,
was ich tue, soll ihm gefallen; und alle
meine
Werke ihn ehren.
Denn
ich freue mich über Gott -
lobe
Gott, meine Seele.
Wie es war im Anfang und jetzt und alle Zeit,
von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen
Musik:
Lied: Nun
lasst uns Gott dem Herren EG 320
Musik:
Lesung:
Der Turm zu Babel 1. Mose 11,1-8
1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und
Sprache.
2 Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine
Ebene im Lande Schinar und wohnten dort.
3 Und sie sprachen untereinander: Ans Werk,
laßt uns Ziegel streichen und brennen! Und Sie nahmen Ziegel als Stein
und Erdharz als Mörtel
4 und sprachen: Ans Werk, laßt uns eine Stadt
und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir unseren
Name berühmt machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.
5 Da fuhr der HERR hernieder, und sah die Stadt
und den Turm, die die Menschenkinder bauten.
6 Und Gott sprach: Seht, sie sind ein Volk und
sie sprechen alle die selbe Sprache, und das ist nun der Anfang ihres Tuns. Nun
wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich
vorgenommen haben zu tun.
7 Ans Werk, laßt uns herniederfahren und
dort ihre Sprache verwirren, damit keiner den anderen mehr versteht!
8 So zerstreute sie der HERR von dort in alle
Länder, und sie mussten aufhören, ihre Stadt zu bauen.
Der Friede Ernst Jünger
Der Friede darf nicht allein auf menschliche Vernunft
gegründet sein. Er kann nicht dauern, beschränkt auf seine
Eigenschaft als Rechtsvertrag, der unter Menschen geschlossen wurde, wenn er
nicht zugleich als heiliger Vertrag besteht.
Und nur auf diese Weise ist die tiefste Quelle des
Übels zu erreichen, die uns aus dem Nihilismus hervorgeht. Was helfen
Verträge, wenn sich hier nichts ändern soll?
Wir sahen reiche, die sich mit hohen Bauten, mit kühnen
Konstruktionen schmückten und heute in Trümmerhalden verwandelt sind.
So zeigt sich wieder, daß kein Segen auf der babylonischen Arbeit ruht.
Hier bleibt nur die Heilung möglich, die sich im Schmerz verbirgt.
... Wir werden trotz allen Gerichten und Verträgen tiefer in die
Vernichtung schreiten, wenn die Wandlung eine menschliche* bleibt und nicht von
einer spirituellen** begleitet wird. Doch es gibt Hoffnung auf große
Wendungen.
im Text: *humanitäre, **theologischen
Musik:
Lesung:
Ich mache alles neu Offenbarung
21,1-7
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue
Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist
nicht mehr.
2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue
Jerusalem, wie es von Gott aus dem Himmel herabkommt, festlich geschmückt
wie eine Braut für ihren Bräutigam.
3 Und ich hörte eine große Stimme von
dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und Gott wird bei ihnen wohnen, und sie werden alle sein Volk sein, und er
selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
4 und Gott wird abwischen alle Tränen von
ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz wird mehr sein; denn was einmal war, das ist vergangen.
5 Und der auf dem Thron saß, sprach:
Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe das auf, denn diese Worte
sind wahrhaftig und gewiß!
6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich
bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von
der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
7 Wer fest steht, der wird dies alles bekommen,
und ich werde ihr Gott sein, und sie werden meine Töchter und Söhne
sein.
Abschied. Erinnerungen Ernst
Ginsberg
Bedenken wir nun, wieviel ergreifende und geheimnisvolle
Sinnfülle wir in Natur und Leben wahrzunehmen vermögen und wie tief
unserem Herzen und unserem Geist das Bedürfnis nach dem Sinn des Daseins und
das Suchen nach diesem Sinn eingeboren ist, dann, so scheint es mir,
drängt sich gegenüber dem Grauen des scheinbar Sinnlosen, ja
Sinnwidrigen, mit dem wir immer wieder im Leben so beängstigend
konfrontiert werden, nicht nur als Demutshaltung des Glaubens, sondern auch und
gerade der Vernunft die Haltung Hiobs auf, schweigend "die Hand auf den
Mund" zu legen, in dem unerschütterlichen Vertrauen, daß der
verborgene Gott wirklich und wahrhaftig alle Tränen abwischen und alle irdische
Finsternis in himmlisches Licht verwandeln kann und verwandeln wird. Der
denkende und fühlende Mensch hat nur die Wahl zwischen diesem Glauben und
der restlosen Verzweiflung. Er muß sich in Freiheit und bewußt
entscheiden.
Musik:
Gebet & Vater Unser
Gott spricht: Ich habe im Sinn, euch eine Zukunft zu
schenken, wie ihr sie erhofft. Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen
werdet, so will ich mich von euch finden lassen.
Das, guter Gott, soll uns gewiss sein. So brauchen wir nicht
zu vergessen, zu verleugnen und unserer Augen zu verschließen vor dem,
was gewesen ist und noch geschieht.
Wir wissen, daß du uns nicht aufgiebst. Wir
müssen nicht ratlos bleiben in einer Welt, die
Nicht immer, aber manchmal erleben wir, daß Gewalt
beendet, Versteinertes aufgebrochen und Friede geschaffen werden kann.
Wir sind nicht allein. Mit uns mühen sich viele um eine
gerechte Welt. Weil wir erfahren, daß du, Gott, uns Mut und Kraft
schenkst. - Ehre sei dir in der Höhe.
Lied: Bewahre
uns, Gott, behüte uns Gott EG 171
Sendung und Segen:
Gott segne und behüte euch. Er leite und begleite euch
auf allen euren Wegen. Er führe euch auf den Weg seiner Gerechtigkeit und
schenke euch Glaube, Kraft und Zuversicht. Er gebe euch seinen Frieden und
mache euch zu Boten seines kommenden Reiches. Der Segen Gottes, des
Barmherzigen, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes sei mit euch
allen. - Amen.
Musik:
Weitere Texte:
Das Friedensreich Gottes - Micha
4,1-5
In den letzten Tagen aber wird
der Berg, darauf Gottes Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und
über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und
viele Menschen werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berg
Gottes gehen und zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns lehre seine Wege und
wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und Gottes
Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele
Menschen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen
und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das
Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu
führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und
niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des Herrn Zebaoth hat's geredet. Ein
jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des Herrn,
unseres Gottes, immer und ewiglich!
Wie wird Friede? - Dietrich
Bonhoeffer, 1934
Wie wird Friede? Durch ein System von
politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen
Kapitals in den verschiedenen
Ländern? d. h. durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch
eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des
Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier
überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum
Frieden auf dem Weg der Sicherheit.
Denn Friede muss gewagt werden, ist das
eine große Wagnis und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist
das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben,
und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg. Sicherheiten suchen heißt
sich selbst schützen wollen. Friede heißt sich gänzlich
ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und
Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand
legen und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen.
Kämpfe werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit Gott. Sie werden auch
dort noch gewonnen, wo der Weg ans Kreuz führt. Wer von uns darf denn
sagen, dass er wüsste, was es für die Welt bedeuten könnte, wenn
ein Volk - statt mit der Waffe in der Hand - betend und wehrlos und darum
gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffe den Angreifer empfinge?
...
Warum fürchten wir das Wutgeheul
der Weltmächte? Warum rauben wir ihnen nicht die Macht und geben sie
Christus zurück? Wir können es heute noch tun. ...
Die Stunde eilt - die Welt starrt in
Waffen und furchtbar schaut das Misstrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare
kann morgen geblasen werden - worauf warten wir noch? Wollen wir selbst
mitschuldig werden, wie nie zuvor?
Texte Erntedank 2003
Lesung 1:
Die Speisung der 5000 - Johannes
6,1-15
Danach fuhr Jesus über den See von
Galiläa, der auch See von Tiberias heißt. Eine große Menge
Menschen folgten ihm, weil sie seine Wunder an den Kranken gesehen hatten.
Jesus stieg auf einen Berg und setzte sich mit seinen Jüngern. Es war kurz
vor dem jüdischen Passafest. Jesus blickte auf und sah die Menschenmenge auf
sich zukommen. Er wandte sich an Philippus: »Wo können wir Brot
kaufen, damit alle diese Leute zu essen bekommen?« Das sagte er, um
Philippus auf die Probe zu stellen; er selbst wußte schon, was er tun
würde. Philippus antwortete: »Wir müßten für
über zweihundert Silberstücke Brot kaufen, wenn jeder auch nur eine
Kleinigkeit bekommen sollte.« Andreas, ein anderer Jünger, der
Bruder von Simon Petrus, sagte: »Hier ist ein Junge, der hat fünf
Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was hilft das bei so vielen Menschen?«
»Sorgt dafür, daß die Leute sich setzen«, sagte Jesus.
Es gab viel Gras an dem Ort. Sie setzten sich; allein an Männern waren es
ungefähr fünftausend. Jesus nahm die Brote, sprach darüber das
Dankgebet und verteilte sie an die Menge. Mit den Fischen tat er dasselbe, und
alle hatten reichlich zu essen. Als sie satt waren, sagte er zu seinen
Jüngern: »Sammelt die Brotreste auf, damit nichts verdirbt.«
Sie taten es und füllten zwölf Körbe mit den Resten. Soviel war
von den fünf Gerstenbroten übriggeblieben. Als die Leute das Wunder
sahen, das Jesus vollbracht hatte, sagten sie: »Das ist wirklich der
Prophet, der in die Welt kommen soll!« Jesus merkte, daß sie drauf
und dran waren, ihn mit Gewalt zu ihrem König zu machen. Deshalb zog er
sich wieder auf den Berg zurück, ganz für sich allein.
Die Weltgeschichte - Bertold Brecht (1898-1956), aus: Die
Geschichte des Giacomo Ui. Werke 11 Prosa I S. 252f
Jeder, der die Weltgeschichte studiert, kennt die
Gefühle des Ekels und der Beschämung darüber, wie das Volk
gemeinhin seine großen Männer behandelt. Unfähig, sich zu der
Höhe ihres Gedankenflugs zu erheben, nicht gewillt, länger als die
kurzen Jahre, wo der Rausch anhält, den der Anblick und die Reden seiner
Führer in ihm erzeugen, dem Ideal zu opfern, haben diese kleinen Leute
aller Nationen sozusagen schon von Anfang an, schon wenn sie noch die Arme zum
Gruß ausstrecken, die Steine in der Tasche parat, mit denen sie den Mann
steinigen werden, der von ihnen verlangt, dass sie mehr sein sollen als elende
Kartoffelesser. Sie wollen immer nur ihre materielle Lage verbessern; dieses
niedrige Geschäft sollen ihnen die Helden besorgen. Dazu soll die
Größe herhalten: nicht mehr verlangt man von den Heroen, als dass
sie Kartoffeln beschaffen. Elend, wie sie sind, dulden die kleinen Leute lieber
unbedeutende Menschen an ihrer Spitze, die sich nur damit abmühen, ihnen
die ach so unwichtige Verbesserung ihrer natürlich immer bedrängten
Lage zu verschaffen. ... Eine große Zeit ist für sie nur eine Zeit
besonderer Mühseligkeiten; deshalb scheuen sie vor jeder wahren
Größe zurück und lassen sich nur ungern auf Unternehmungen von
historischem Ausmaß ein. Kriege jagen ihnen Schrecken ein, Entbehrungen
machen sie mürrisch. Schon große Pläne erfüllen sie mit
Misstrauen. Ihr kostbares Leben gilt ihnen über alles, so elend es auch
ist und so sehr sie auch darüber schimpfen. Gleichsam als ahnten sie, dass
es für den Führer noch Höheres gibt, als sie rund und fett zu
machen, widersetzen sie sich seinen weit zielenden Absichten. Nicht ein Bild
von historischer Größe wollen sie bieten, sondern Kartoffeln wollen
sie. Der große Mann, der sich mit ihnen einlässt, ist so schon von
vornherein verraten und verkauft. Früher oder später wird er
verlassen dastehen, beschimpft von allen, die sich ein besseres Leben
versprachen und nur ein historisches bekommen haben.
Lesung 2:
Neuer Himmel & neue Erde - 2.
Petrus 3,3-10.13
Ihr müßt euch vor allem darüber
im klaren sein: In der letzten Zeit werden Menschen auftreten, die nur ihren
eigenen selbstsüchtigen Wünschen folgen. Sie werden sich über
euch lustig machen und sagen: »Er hat doch versprochen wiederzukommen! Wo
bleibt er denn? Inzwischen ist die Generation unserer Väter gestorben;
aber alles ist noch so, wie es seit der Erschaffung der Welt war!« Sie
wollen nicht wahrhaben, daß es schon einmal einen Himmel und eine Erde
gab. Gott hatte sie durch sein Wort geschaffen. Die Erde war aus dem Wasser
aufgestiegen, und auf dem Wasser ruhte sie. Durch das Wort und das Wasser wurde
sie auch zerstört, bei der großen Flut. Ebenso ist es mit dem
jetzigen Himmel und der jetzigen Erde: Sie sind durch dasselbe Wort Gottes
für das Feuer bestimmt worden. Wenn der Tag des Gerichts da ist, werden
sie untergehen und mit ihnen alle, die Gott nicht gehorcht haben. Meine Lieben,
eines dürft ihr dabei nicht übersehen: Beim Herrn gilt ein anderes
Zeitmaß als bei uns Menschen. Ein Tag ist für ihn wie tausend Jahre,
und tausend Jahre wie ein einziger Tag. Der Herr erfüllt seine
Verheißungen nicht zögernd, wie manche meinen. Im Gegenteil: Er hat
Geduld mit euch, weil er nicht will, daß einige zugrunde gehen. Er
möchte, daß alle Gelegenheit finden, von ihrem falschen Weg
umzukehren. Doch der Tag des Herrn kommt unvorhergesehen wie ein Dieb. Dann
wird der Himmel unter tosendem Lärm vergehen, die Himmelskörper
verglühen im Feuer, und die Erde und alles, was auf ihr ist, wird
zerschmelzen. ... Aber Gott hat uns einen neuen Himmel und eine neue Erde
versprochen. Dort wird es kein Unrecht mehr geben, weil Gottes Wille regiert.
Auf diese neue Welt warten wir.
Das Buch des Lebens - Stefan Heym (1913-2001), aus:
Ahasver. Roman. 26. Kapitel. S. 286 f
Der Weg aber, den uns das Licht erleuchtete, wurde schmaler
und steiler und Abgründe taten sich auf zu seinen Seiten; am Ende des
Weges aber lag ein Stein, auf dem saß einer, der war sehr alt und hielt
in der Hand einen Stab und schrieb Zeichen in den Sand zu seinen
Füßen mit der Spitze des Stabes.
Und ich sagte ein drittes Mal, Rabbi, wenn der da dein Vater
ist, sprich zu ihm.
Der Rabbi aber neigte sich nieder zu dem Schreibenden und
fragte, Was tust du da, Alter?
Der jedoch sagte, ohne sich stören zu lassen bei seiner
Arbeit, Siehst du nicht, dass ich das siebenfach versiegelte Buch des Lebens
schreibe, mein Sohn ?
Aber du schreibst es in den Sand, sagte der Rabbi, und ein
Wind wird kommen und alles verwehen.
Genau das, erwiderte der Alte, ist das Geheimnis des Buches.
Da erbleichte der Rabbi und erschrak sehr, doch dann sprach
er, Du bist der, der die Welt schuf aus dem Wüsten und Leeren, mit Tag und
Nacht und Himmel und Erde und Wassern und allem Gewürm.
Der bin ich, sagte der Alte.
Und am sechsten Tag, fuhr der Rabbi fort, erschufst du in
deinem Bilde den Menschen.
Auch dieses tat ich, sagte der Alte.
Und nun soll's alles sein, als wär's nie gewesen,
fragte der Rabbi, eine flüchtige Spur, die mein Fuß verwischt?
Da legte der Alte den Stab beiseite und schrieb nicht mehr
weiter, sondern wiegte sein Haupt und sagte, Einst war auch ich voller Eifer
und Glauben, mein Junge, und liebte mein Volk oder zürnte ihm, je nachdem,
und entsandte ihm Flut und Feuer und Engel und Propheten und schließlich
gar dich selbst, meinen einzigen Sohn. Du siehst, was daraus geworden.
Ein stinkender Sumpf, in dem alles, was lebt, nur danach
trachtet, einander zu fressen, sagte der Rabbi, ein Reich des Grauens, in dem
alle Ordnung nur dazu dient, zu zerstören.
Mein Sohn, sagte der Alte, ich weiß.
Aber Herr, wandte der Rabbi ein, liegt's nicht in Deiner
Hand, den Sumpf zu trocknen und die Ordnung zu ändern?
Der Alte schwieg.
Herr, sagte der Rabbi, Du hast verlauten lassen durch den
Mund Deines Propheten, Du wolltest einen neuen Himmel schaffen und eine neue
Erde, dass man der vorigen nicht mehr gedenken werde. Und Du hast ferner
geredet durch einen andern Deiner Propheten und den Menschen verkünden
lassen, Du wolltest das steinerne Herz aus ihrem Fleisch wegnehmen und ihnen
ein neues Herz und einen neuen Geist eingeben. Herr, ich frage Dich: wann? Wann
?
Da wandte der Alte den Kopf und blickte auf zu seinem Sohn,
schräg von unten her, und sprach: Ich habe die Welt erschaffen und den
Menschen, aber einmal da, entwickelt ein Jegliches seine eignen Gesetze und aus
Ja wird Nein und aus Nein wird Ja, bis nichts mehr ist, wie es war, und die
Welt, die Gott schuf, nicht mehr erkennbar selbst dem Auge ihres
Schöpfers.
Du gestehst also, sagte der Rabbi, die Vergeblichkeit Deines
Tuns, Herr? Ich schreibe in den Sand, sagte der Alte, ist das nicht genug?