"Freut euch!" Denn Gott spricht: "Ich will euch trösten."
Evangelischer Gottesdienst im Deutschlandfunk
Predigt von Pfarrer Thomas Schöps
Lätare · 18. März 2012 · 10 Uhr · Bleckkirche - Kirche der Kulturen
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Predigttext: Epistel-Lesung zum Sonntag Lätare: 2. Korinther 1,3-7: Dank für Gottes Trost

"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben."


In dir ist Freude in allem Leide, so haben wir gerade gesungen, liebe Gemeinde, ganz dem Motto "Freut euch" des heutigen Sonntags Lätare entsprechend.
Doch: Sich freuen? Inmitten allen Erfahrungen des Leids? Woher soll das kommen? Welche Zauberkraft soll das bewirken, dass ich mich freue, in Zeiten, wo es mir oder anderen um mich herum einfach nur schlecht geht?
Sicher, ich wünsche mir schon, mich eher meines Lebens erfreuen zu dürfen als Leid ertragen zu müssen. Aber das ist leichter gesagt, als getan. Wenn es mich oder geliebte Menschen um mich herum schwer erwischt hat, dann gibt es da nicht einfach einen Schalter, den ich umlegen kann und schon ist wieder alles gut. Besser ist es doch, da ist dann jemand, der mich in die Arme nimmt, mir zuhört, mich einfach mal jammern lässt und so gut wie es eben geht ein wenig tröstet in meinem Elend.
Getröstet zu werden, das ist doch schon was. Und oft geschieht es dann auch, dass es mir wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert und auch die Freude am Leben wieder zurückkommt, einfach weil da jemand ist, dem ich mich ganz anvertrauen kann.
Es ist vor allem der Apostel Paulus, der in seinen Briefen immer wieder über dieses Miteinander von leidvollen Erfahrungen und Trost schreibt. Im 2. Korintherbrief, aus dem wir gerade als Lesung der Epistel einen Abschnitt hörten, blickt Paulus selbst auf eine leiderfüllte Zeit zurück. Wegen seines Glaubens an Christus wurde er verfolgt, verhaftet, gefoltert. Er schwebte in Lebensgefahr. Hinzu kamen schwere Auseinandersetzungen, die fast zum Zerwürfnis mit der Gemeinde geführt hätten.
Paulus sah alle diese Erfahrungen als Teil seiner Lebensgeschichte. Alles, was geschah sah er in einer Linie mit anderen Leiderfahrungen, die er als Christ gemacht hatte. Das Leid, dass er ertragen musste, um die Botschaft Jesus zu verkündigen, bildete fast so etwas wie einen roten Faden in seinem Leben.
Trost hat er aus seinem Glauben an den auferstandenen Christus erhalten. Die Überzeugung des Paulus war: Alles Leiden der Kinder Gottes wird getröstet durch die Hoffnung von Ostern: Gott hat seinen Sohn aus dem Tod errettet. Er wir auch uns erretten.
Paulus Gedanken darüber, wie er sein Leben sieht, voller Erfahrung des Leidens aber immer in dem Bewusstsein, durch seinen Glauben an Jesus getröstet zu werden, diese Gedanken konfrontieren mich mit den Erfahrungen meines eigenen Lebens. Wie sieht es aus, wenn ich an mein eigenes Leid denke, und daran, wie groß meine Sehnsucht ist, Trost und Hilfe in meinem Leid zu erhalten?
Leiden - was das heißt, das wissen wir alle nicht nur vom Hörensagen, nicht nur aus Erzählungen anderer oder durch die vielen Bilder des Leidens, die uns das Fernsehen tagtäglich ins Haus liefert. Vom Leiden kann jeder seine eigene Geschichte, jede ihre eigenen schmerzlichen Erfahrungen erzählen. Und es sind ja nicht immer nur die großen, offensichtlichen Leiden, die uns zu schaffen machen. Es gibt so viele Formen des Leidens, die nach außen keiner so schnell sieht, weil sie eher im Verborgenen bleiben. Leiden im tiefen Inneren unserer Seele.
Einmal mit dem Thema Leid konfrontiert, werden die Erinnerungen an die eigenen leidvollen Erfahrungen ganz spontan wach. Stehen mir unwillkürlich lebendig und bildhaft vor Augen. Denn Erinnerungen an leidvolle Erfahrung sind mächtige Erinnerungen.
Oft genug vergessen wir dann, dass es da ja noch eine andere Seite gibt. Ich darf mich auch daran erinnern, wie mir in vielen traurigen Situationen meines Lebens Trost geschenkt wurde. Diesem inneren Bild meiner Erinnerung will ich Raum geben. Wo bin ich getröstet worden? In welcher Situation meines Lebens habe ich erlebt, dass mir in einer meiner Seele belastenden Situation geholfen wurde? Es ist jedem Menschen zu wünschen, dass er auch dazu etwas zu berichten weiß: Wie ihm in einer schweren Situation Trost geschenkt wurde.
Aber ich fürchte, wenn wir nun beides, unsere Erfahrungen des Leidens und die des getröstet Werdens nebeneinander in die Waagschale werfen würden, die des Leidens würden wohl um einiges schwerer wiegen. Das ist ja oft gerade das Bittere am Leiden: Dass der ersehnte Trost zu oft ausbleibt; dass wir statt des erhofften Verständnisses für die eigene schwere Situation oft Gleichgültigkeit und Unverständnis erfahren; dass wir viel zu oft nur billige Vertröstungen zu hören bekommen. All das macht das Leiden noch schwerer. Gewiss, die Zeit hat manche Wunde geheilt, aber das ist wohl kaum ein echter Trost?
Auf diesem Hintergrund hört sich das, was Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt, merkwürdig anders an: »Gelobt sei Gott, der Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir trösten können.« Das klingt so einfach, so selbstverständlich, fast wie ein Automatismus: Wer leidet, wird auch getröstet. Da werde ich schon neugierig zu erfahren, wie Paulus dazu kommt, das so zu schreiben. Und damit bin ich nicht allein. Das haben sich auch schon andere gefragt.
»Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.« (Dietrich Bonhoeffer)
Diese Sätze stammen von dem Theologen Dietrich Bonhoeffer. Während des Nationalsozialismus leistete er als Christ Widerstand gegen die Gewaltherrschaft der Nazis. Er wurde gefangen genommen und noch kurz vor Kriegsende hingerichtet. Was Dietrich Bonhoeffer aus seiner Gefangenschaft schreibt, führt uns geradewegs in das Denken des Apostel Paulus hinein.
"Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will." Diese feste Überzeugung, ist für Bonhoeffer der Trost, seine leidvolle Zeit der Gefangenschaft und die Angst vor dem Tod zu ertragen. "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag." Mit diesem Liedvers aus seiner Feder gibt er seiner Zuversicht einen ganz besonderen Ausdruck. Am Ende des Gottesdienstes werden wir es noch miteinander singen.
Der Trost, von dem Bonhoeffer spricht, ist eine Kraft, die Gott uns gibt. Damit aber diese Kraft in uns wirksam wird, sollten wir lernen, wie wenig wir Menschen uns auf unsere eigenen Fähigkeiten verlassen können und dürfen. Unser Leben ist zerbrechlich und wenn wir glauben, uns nur auf uns selbst verlassen zu können, dann sind wir wohl erst recht verloren, weil wir ganz ohne Hoffnung bleiben müssten angesichts aller Leiderfahrungen in dieser Welt.
Doch: Unser Glaube ist kein Garant für ein unangefochtenes Leben in Glück und Erfolg. Nirgendwo steht geschrieben, dass wir ein Anrecht auf ein Leben ohne die Erfahrung des Leidens hätten. In der Bibel schon gar nicht. Unser Zeit, unsere Kultur setzt zwar alles daran, dieses zu propagieren. Man ist mehr denn je versucht, möglichst alles Leiden aus dem Leben zu verbannen.
Wo wir Krankheiten heilen, Krieg und soziale Ungerechtigkeit verhindern und uns vor Gefahren an Leib und Seele schützen können, da ist das auch ganz richtig. Wo wir aber meinen, wir könnten ein Leben ganz ohne die persönliche Erfahrung des Leids führen, laufen wir in eine Sackgasse. Wir wissen: Nur glücklich und erfolgreich sein, das geht nicht.
Wir haben ein gefährdetes Leben. Durch alles mögliche ist es bedroht, durch Krankheit und Tod, durch die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen, durch das Zerbrechen von Beziehungen, durch Gefühle des Verlassen seins und der Einsamkeit, durch Angst vor der Zukunft, durch die Furcht, nicht mehr mithalten zu können in einer Zeit, die immer mehr vom Einzelnen abverlangt.
Und weil das so ist, ganz unveränderlich, sollten wir lernen, ein anderes Verhältnis zu gewinnen zu den Leiderfahrungen des Lebens. Wir sollten lernen, Erfahrungen des Leids nicht als eine möglichst schnell zu beseitigende Störung des Lebens zu begreifen, sondern als eine Aufgabe, die es zu bewältigen gilt im Vertrauen auf die uns von Gott geschenkte Kraft.
Leiden anzunehmen, sie als Teil meines Lebens zu akzeptieren, zumindest dann, wenn mir bewusst wird, dass ich nichts daran ändern kann, das fällt schwer. Ja, Verzeihung bitte, verdammt schwer. Heißt es doch, mit etwas leben zu müssen, das so gar nicht in meine Vorstellung von einem glücklichen Leben hineinpasst. Hier spüre ich deutlich, dass ich immer wieder an die Grenzen meiner eigenen Kräfte stoße.
Auch das gehört zu unserer Erfahrung, dass es in den dunkelsten Stunden unseres Lebens einfach nichts gibt, was unsere Trauer, unseren Schmerz und unsere Verzweiflung vertreiben kann. Auch alles Klagen, alle Gebete, alles Rufen zu Gott scheint vergebens. Nichts will unsere Not lindern. So schwer wie es auch fällt: wir müssen es aushalten.
In diesem Gefühl, dass meine eigene Kraft nicht mehr ausreicht und dass auch keine anderen Menschenhände mehr da sind, die helfen können, vertrauen der Apostel Paulus und Dietrich Bonhoeffer ihr Leben ganz dem Schutz unseres Gottes an. Das macht ihr Hoffen aus. Das ist, was sie tröstet. Die Botschaft des Glaubens, dass es eine Liebe Gottes gibt, die uns beschützt, sogar über den Tod hinaus.
So wird für mich der Zusammenhang zwischen erfahrenem Leid und geschenktem Trost bei Paulus verständlich: Das Leiden annehmen als unveränderlichen Teil der eigenen Lebensgeschichte. Trost empfangen von Gott, der auch aus Leid und Tod Hoffnung und Gutes entstehen lassen kann.
Paulus blickt dabei auf den Gott, der seinen Sohn Jesus Christus aus Leiden und Tod in ein neues Leben geführt hat. In der dunkelsten Stunde seines Lebens hat Jesus selbst erfahren, dass es keinen Weg am Leiden vorbei gibt. Dass es ihm wie jedem Menschen nicht erspart bleibt, alle Not und Verzweiflung in der Zeit des Leids zu ertragen. Alles Klagen, alle Gebete, alles Rufen zu Gott waren auch ihm vergebens. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Dieses waren seine letzten Worte am Kreuz. Und sein Weg führte ihn bis ganz unten in das Reich des Todes. Erst mit Ostern, erst mit der Auferstehung des Gottessohnes verwandelte sich die Perspektive. Aus Leid wurde Trost, aus Tod wurde neues Leben.
Mitten in der Zeit des Gedenkens an Jesu Passion, an Leiden und Sterben des Gottessohnes werden wir daran erinnert, wie sehr unser eigenes zerbrechliches Leben mit dem Leben des menschgewordenen Gottes zusammenhängt. Unsere Leiden sind seine Leiden. Doch wie er von Gott errettet wurde, so werden auch wir errettet.
Aus dieser Gewissheit heraus ruft uns der heutige Sonntag auf zur Freude. Einer Freude darüber, dass wir in allem, was unsere Seele quält, unsere Herzen bekümmert und unsere Gedanken ängstigt im Vertrauen auf den Trost unseres Gottes leben dürfen.
Freut euch!" Denn Gott spricht: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet."
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. - Amen.

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© Thomas Schoeps 2012